LESEPROBEN
Das Schwere leicht machen (Ausgabe 1/23)
Zur kreativen Arbeit der Glasgestalter Rike Scholle und Eduard Deubzer

Es ist ein Material, das Menschen seit Jahrtausenden fasziniert: Glas. Schon im Ägypten der 18. Dynastie, etwa 1500 Jahre vor Christi Geburt, war die Kunst der Glasherstellung bekannt, bei der man Mineralien so stark erhitzt, dass sie sich verflüssigen. Diese Schmelze lässt man nach der gewünschten Formgebung abkühlen.
Künstlerische und kunsthandwerkliche Arbeiten aus Glas zu gestalten, ist ein anspruchsvoller Prozess, der nicht weniger anspruchsvolle handwerkliche Fähigkeiten erfordert. Bis vor einigen Jahrzehnten konnte Glas nur in den großen Glashütten hergestellt und bearbeitet werden. Dies änderte sich Anfang der 1960er Jahre, als der amerikanische Glaskünstler Harvey K. Littleton die Studioglasbewegung ins Leben rief, die später von Erwin Eisch auch nach Deutschland gebracht wurde. Littleton entwickelte einen kleineren Glasofen, mit dem Künstler von nun an auch in ihren Ateliers arbeiten konnten, so dass sie nicht mehr auf die großen Öfen der Manufakturen angewiesen waren. Diese Entwicklung hat der Glaskunst als einem eigenständigen künstlerischen Genre einen starken Schwung beschert.
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Editorial (Ausgabe 1/23)
documenta, Biennale & Co. oder die Frage: Wie viel Kunst erträgt der Mensch?
Eine Nachlese.

Liebe Leserinnen und Leser,
2022 war ein besonderes Jahr für die Kunst. Gleich zwei große Weltkunstschauen, die documenta 15 in Kassel und die Biennale in Venedig, traten mit dem Anspruch auf, den
Stand der Weltkunst zu dokumentieren – ein Anspruch, dem die Kasseler documenta sogar ihren Namen verdankt.
Wer sich die Mühe machte, beide Megaevents zu besuchen, musste jedoch feststellen, dass weder die eine noch die andere Schau diesem hochgesteckten Ziel gerecht wurde. Aus zahlreichen Gründen. Denn es gab auf diesen Ausstellungen, insbesondere der documenta, vieles zu sehen, nur keine bis sehr wenig Kunst. Ein gut gemaltes Bild oder eine überzeugende Fotografie bzw. Skulptur waren so schwer zu finden wie die Stecknadel im Heuhaufen, dafür wurden Hierarchiefreiheit und der Verzicht auf kuratorische Arbeit zum Programm gemacht und, wie Peter Richter in der Süddeutschen
Zeitung bemerkte, „der Kontrollverlust über Formen und Inhalte als ethische Errungenschaft“ verkauft: die Weltkunstschau als politisches Umerziehungsevent.
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Zwischen Spiel und Verdacht (Ausgabe 2/22)
Kulturen lernen voneinander, und das hält sie lebendig.
Reflexionen über die Frage der kulturellen Aneignung

Der Gedanke eines geistigen Reichs, in dem alle weltlichen
Reiche zusammengefasst sind, gehört in die Zeit
des Bildungsbürgertums. Er ist im Ersten Weltkrieg mitsamt
dem Empire und den deutschen Kaiserreichen untergegangen.
Sein Erbe traten die Nationalstaaten an. Im
Tropenmuseum in Amsterdam befindet sich heute eine
der größten Sammlungen von Ethnographica, die es
überhaupt gibt. Leider sind viele dieser Exponate in den
Magazinen verschwunden. Stattdessen befasste sich eine
dort kürzlich gezeigte Ausstellung mit hoch erhobenem
Zeigefinger mit dem Thema der kulturellen Aneignung.
Es war, als schäme sich das große Haus seines
Reichtums an Zeugnissen der indonesischen Völker und
habe sie deshalb in die Regale der Depots verbannt.
Das Cambridge Dictionary definiert laut Wikipedia kulturelle
Aneignung als „das Verwenden von Dingen einer
Kultur, die nicht deine eigene ist, ohne zu zeigen, dass du
diese Kultur verstehst oder respektierst“. Es wäre naiv zu
erwarten, dass soziale Bewegungen, die sich gegen Kolonialismus
und Rassismus richten, in von missionarischen
Traditionen geprägten Gesellschaften plötzlich
von solchen Haltungen frei sein sollten.
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Editorial (Ausgabe 1/2022)
15 Jahre MUNDUS oder die Frage: Was ist eigentlich professionelle Kunst?

Im 19. und 20. Jahrhundert gab es zwei Erfindungen, welche die bildende Kunst nachhaltig verändert haben: die Fotografie und die Kunsttherapie. Während die Fotografie bereits in den 1820er Jahren entstand und die Maler einige Jahrzehnte später mit Impressionismus und Expressionismus zu gänzlich neuen Wahrnehmungs- und Darstellungsweisen inspirierte, ist die Kunsttherapie, deren Entwicklung vor allem in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts Fahrt aufnahm, eine relativ junge Disziplin (s. S. 24). Sie ermöglicht es, seelische Zustände, vor allem traumatische, symptomatisch-symbolisch widerzuspiegeln, mittels therapeutischer Techniken zu hinterfragen und mit der Entwicklung neuer innerer Bilder Wege aus dem persönlichen Trauma zu finden: mit Kunst(therapie) lassen sich neue Wirklichkeiten gestalten.
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Statt eines Editorials (Ausgabe 3/21)
Kulturelle Dekolonisation oder die Frage, ob Leistung nicht wichtiger ist als Alter, Hautfarbe und Geschlecht? Eine Hommage an die Kulturleistungen alter weißer Männer

„Entsammeln für Gerechtigkeit“ fordert die Kunsthistorikerin Julia Pelta Feldman und schlägt den Museen vor, Kunstwerke alter weißer Männer verstärkt aus den Sammlungen zu nehmen, um Platz zu schaffen für die Kunst von Frauen und Minderheiten. Kulturelle Dekolonisation lautet das Gebot der Stunde. Unter Dekolonisation versteht man Ablöseprozesse, die zum Ende einer kolonialen Herrschaft führen. Nun also auch im Kulturbereich, und zwar in allen Sparten. Wobei die Frage offen bleibt: Weshalb sollen Seneca, Leonardo da Vinci und Gustav Mahler für Sklaverei und Frauenunterdrückung verantwortlich sein?
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Oberflächen mit Hintergrund (Ausgabe 1/21)
Zur fotografischen Arbeit von Dieter Nuhr

„Es ist die Eindimensionalität des Positiven wie des Negativen, die der Mehrdimensionalität des Lebens nicht gerecht werden kann.“ Dieser Satz des Philosophen Wilhelm Schmid beschreibt in Kürze das künstlerische Wirken von Dieter Nuhr, der den meisten, die ihn kennen oder zu kennen glauben, vor allem als differenziert analysierender und pointensicherer Kabarettist bekannt ist. Dass Dieter Nuhr seit mehr als dreißig Jahren auch als bildender Künstler arbeitet, dringt erst seit einigen Jahren mehr und mehr an die Öffentlichkeit.1960 in Wesel geboren und später in Düsseldorf aufgewachsen, wo er bis heute lebt, studierte Nuhr von 1981 bis 1985 Kunst und Geschichte an der Universität Essen, der ehemaligen Folkwangschule, wo der Maler, Fotograf und Konzeptkünstler Laszlo Lakner zu einem Lehrer wurde, der ihn nachhaltig prägte.
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Zeitgenössische Kunst im Einflussfeld der Politik (Ausgabe 3/18)
… oder die Frage nach der ideologischen Unabhängigkeit künstlerischen Arbeitens

Die Wechselwirkungen zwischen Macht und Politikauf der einen Seite und der Kunst ihrer Zeit auf der anderen sind ein weites Feld. Für eine noch gar nicht so weit zurückliegende Vergangenheit lässt sich klar erkennen: Politische Kräfte haben die Kunst eindeutig beeinflusst. Der sozialistische Realismus als sog. Staatskunst ist auf ebenso peinliche Weise offensichtliche Propaganda gewesen wie die sog. Nazi-Kunst. Beide verbleiben bis heute weitgehend in den Depots, weil selbst ein Kunstwissenschaftler wie Bazon Brock noch immer eine Verführung des zeitgenössischen Publikums befürchtet. Ganze Kunstrichtungen können für die Wertewelt einer Gesellschaft stehen. Die abstrakte und oftmals wenig meisterliche westliche Kunst der Nachkriegsjahre hebt sich von der mehr gegenständlichen Nazi-Kunst sowie vom sowjetischen Realismus deutlich ab. Das macht es schwer, abstrakte Kunst zu kritisieren, weil sie im „richtigen“, die realistische hingegen im „falschen“ System entstand. Nach dem Ende des Sozialismus wurden Werke und Ausstellungen der westlichen Kunst in die Metropolen des alten sowjetischen Reichs exportiert, beispielsweise nach Moskau oder Budapest.